Eine leere Bürostuhlreihe vor einem übertrieben futuristischen Arbeitsplatz mit Dutzenden Bildschirmen. Im Hintergrund leuchtet ein Schild mit der Aufschrift ‚Wir suchen! Aber nicht Sie.‘ – eine visuelle Spitze gegen den absurden Perfektionismus und die realitätsfernen Anforderungen in der IT-Branche.

Fachkräftemangel: Die Mär vom leeren Schreibtisch

Fachkräftemangel? Nur, wenn der perfekte Bewerber ein 25-jähriges Multitalent mit 15 Jahren Erfahrung ist. Warum Heinz trotzdem draußen bleibt.

Es war einmal eine Branche, in der die Talente fehlten, angeblich. Unternehmen weinten Krokodilstränen und warfen mit Buzzwords um sich: Fachkräftemangel! Disruption! War for Talent! Doch in den Bewerbungsgesprächen sprachen die Lebensläufe von „Überqualifizierung“ und „altersbedingtem Mangel an Flexibilität“. Willkommen in der IT!

Ein 51-jähriger IT-Profi, nennen wir ihn Heinz, steht symbolisch für die absurde Realität eines Arbeitsmarktes, der nach außen schreit: „Wir finden niemanden!“ – aber nach innen tuschelt: „Nur keine grauen Haare im Team.“ Heinz hat alles: Zertifikate, Erfahrungen, Erfolge, die den Lebenslauf strahlen lassen könnten wie eine Discokugel in den 80ern. Und dennoch: kein Job.

Warum? Das ist die Millionen-Euro-Frage, die vielleicht ein schlecht programmierter Chatbot beantworten könnte – falls er nicht gerade selbst die Stelle besetzt, die Heinz sich wünscht.

Der heilige Gral: Einhorn-Kandidaten gesucht

In der IT herrscht angeblich ein Mangel. Kein Mangel an Arbeit oder Projekten, sondern an den „richtigen“ Bewerbern. Doch was bedeutet „richtig“? Unternehmen scheinen sich vorzustellen, dass irgendwo da draußen der perfekte Kandidat wartet – ein 25-jähriger Alleskönner mit 15 Jahren Berufserfahrung, fünf Sprachen, einem LinkedIn-Profil voller Charity-Engagements und der Flexibilität, für 40.000 Euro brutto im Jahr Vollgas zu geben.

Heinz ist zu „teuer“, zu „erfahren“, vielleicht auch einfach zu unbequem für diese Vorstellungen. Denn was passiert, wenn jemand mit Ahnung den Firmenprozessen auf den Zahn fühlt? Wenn er die Work-Life-Balance ernst nimmt und sagt: „Ich arbeite keine 60 Stunden für die Hälfte des Marktwertes“?

Agilität predigen, Starrsinn leben

Die IT-Branche liebt es, sich mit Schlagworten wie „Agilität“, „Innovationskultur“ oder „Digitaler Wandel“ zu schmücken. Aber wenn es um die Personalstrategie geht, wirkt vieles wie aus der Mottenkiste. Es reicht nicht, „agil“ auf die Stellenanzeige zu schreiben und dann ein Bewerbermanagement zu fahren, das so flexibel ist wie Windows 95 nach einem Blue Screen.

Die Realität: Viele Firmen stellen nicht ein, um zu wachsen, sondern um ihre Wunschliste abzuarbeiten. Soft Skills? Prima, aber bitte nur, wenn der Kandidat auch die 27 Programmiersprachen mitbringt, die niemand im Haus beherrscht. Heinz könnte helfen, den Laden neu aufzustellen, aber da steht der Kostenstellenleiter im Weg, der glaubt, ein Junior könne denselben Job für ein Drittel des Gehalts erledigen.

Altersdiskriminierung – aber bitte leise

Natürlich sagt niemand direkt: „Zu alt!“ Aber wie oft hören erfahrene IT-Profis von „fehlender Anpassungsfähigkeit“ oder „einer nicht ganz passenden Teamdynamik“? Es sind diese subtilen Hinweise, die zeigen, dass wir in einer Branche stecken, die ihre eigenen Narrative nicht hinterfragt.

„Wir brauchen frische Ideen!“ – Schön, aber frische Ideen kommen nicht nur von blutjungen Absolventen mit MacBook-Pro-Fetisch. Vielleicht sollte Heinz einmal erwähnen, dass er damals das Netzwerk aufgebaut hat, auf dem die Cloud-Anwendungen von heute laufen. Aber das würde ja bedeuten, dass Erfahrung zählt.

Die Lösung liegt auf der Straße

Statt weiter über den Fachkräftemangel zu jammern, könnten Unternehmen mal ihre Scheuklappen ablegen. Heinz und Tausende andere stehen bereit – mit ihrem Wissen, ihrer Leidenschaft und einer Ernsthaftigkeit, die den Unterschied machen könnte. Aber das geht nur, wenn Arbeitgeber aufhören, Einhörner zu suchen, und anfangen, den Wert realer Menschen zu erkennen.

Am Ende bleibt nur die Erkenntnis: Der Fachkräftemangel ist nicht der Mangel an Talenten. Es ist der Mangel an Einsicht, dass Fachkräfte, wie Heinz, schon längst vor der Tür stehen. Sie klopfen, aber niemand macht auf. Stattdessen hängen Firmen weiter das Schild raus: „Wir suchen! Aber nicht Sie.“

Total
0
Shares
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Previous Post
Ein finsterer, stilisierter Quantencomputer schwebt bedrohlich wie ein technischer Sturm über einem zerbrechenden digitalen Schlüssel – ein treffendes Sinnbild für die drohende Übermacht von Quantencomputern und die verzweifelte Notwendigkeit, alte Kryptographie zu retten, bevor sie endgültig in die digitale Vergessenheit gepustet wird.

Post-Quanten-Kryptographie: Der Elefant im Serverraum

Total
0
Share